Hat der zunehmende Rückzug von Kommunikation in geschlossene Messengergruppen Einfluss auf die Arbeit mit Webvideo in Bildungskontexten?
Gedanken des Netzwerkes Bewegtbildung
Dieser Text zeigt Chancen und Herausforderungen von Messengerkommunikation für Bewegtbildung auf. Er bezieht sich dabei auf die vier Bewegtbildungs-Kriterien Identifikation, Interaktion, Zielgruppenorientierung und Haltung.
Messengerkommunikation und Identifikation
Kommunikation in nicht-öffentlichen oder halb-öffentlichen Messengergruppen bietet, neben zahlreichen Herausforderungen für die politische Bildung, auch neue Chancen. Vor allem wenn es um die Frage geht, wie wir als Bildner*innen Identifikation mit einem Bildungsprozess herstellen wollen, könnten Messengerdienste die Arbeit unterstützen. Zum einen kann ein direkter Austausch mit bestimmten Zielgruppen dort stattfinden, wo sie sich ohnehin schon regelmäßig aufhalten. Zum anderen lassen sich Gruppen gestalten, die als geschützter Raum wahrgenommen werden. Natürlich werden so in der Kommunikation auch In- und Outgroups etabliert. Für die Identifikation als Gruppe und gemeinsames Projekt kann das jedoch ein Vorteil sein. Durch die Vielzahl technischer Dienste und Gruppen besteht allerdings die Gefahr einer Zersplitterung der Kommunikation und es entstehen technische Abhängigkeiten. Dies kann für Bildner*innen bedeuten, mehrere Dienste parallel nutzen zu müssen – sicher eine Ressourcenfrage.
Es sollte Teilnehmenden freigestellt sein, den Dienst zu nutzen, den sie etwa mit Blick auf Datenschutz als angemessen und praktisch empfinden. Über die exklusive Gruppenbildung und die Übertragung von echter Verantwortung für die Gruppen (Moderation/Admin) an Projektteilnehmende lassen sich echte Peerstrukturen schaffen. Dies kann die Identifikation mit einem Bildungsprozess zusätzlich erhöhen. Inwieweit sich Peers finden, die freiwillig und verantwortungsvoll diese Aufgabe übernehmen, ist allerdings eine eigenständige Frage. Auch wird sich erst im Prozess zeigen, ob diese Peerleader ihre Rolle in unseren Projekten als Gewinn oder Verlust für ihr Ansehen unter ihresgleichen ansehen. Mit Blick auf jugendliche Zielgruppen muss klar sein, dass Projekte nur dann als Gewinn an Reputation wahrgenommen werden, wenn sie einen echten Lebensweltbezug haben und die Kommunikation in Messengern auf Augenhöhe, persönlich und informell verläuft. Das bedeutet zum Beispiel, keine Textwüsten und Fachsprache in Messengerkommunikationen zu verwenden. Ebenfalls sollte keine Imitation von Jugendsprache stattfinden und der Einsatz von ikonografischen Mitteln wie Emojis, Sticker, Animationen und GIFs (z.B. Memes) muss gut überlegt und dem Thema angemessen sein.
Messengerkommunikation und Interaktion
WhatsApp als der größte Messengeranbieter in Deutschland ist für politische Bildner*innen zunächst eine interessante Plattform, um die eigenen Inhalte schnell an eine große Anzahl an Empfänger*innen zu schicken und sofort Feedback zu erhalten. In der Praxis ist jedoch die Zuordnung von Messengerdiensten zu sozialen Netzwerken problematisch, da diese nicht den offenen Plattformcharakter von Facebook oder Twitter aufweisen. Wer nicht in den entsprechenden Gruppen ist, kommt auch nicht in die Kommunikationskanäle hinein – das ist auch erst einmal gut so. Für die politische Bildung können Messengerdienste trotzdem sinnvoll sein – nicht zur direkten Zielgruppenansprache, aber indirekt, beispielsweise wenn zur Kommunikation mit Multiplikator*innen ein eigener Info-Channel aufgebaut wird, oder ein Chatbot spielerisch zum Engagement mit Inhalten einlädt. Inhalte sollten so aufbereitet sein, dass sie zum Teilen einladen. Ob Aufwand und Nutzen – insbesondere bei aufwändigen Chatbots, oder großen Channels, die dann auch ein entsprechendes Communitymanagement erfordern – in einem angemessenen Verhältnis stehen, bleibt allerdings zweifelhaft und muss deshalb für einzelne Interaktions-Formen jeweils abgewogen werden.
Messengerkommunikation und Zielgruppenorientierung
Gerade in Bezug auf Messengerkommunikation ist es nochmal notwendiger, seine Zielgruppe so genau wie möglich zu kennen und zu wissen, in welchen Gruppen diese unterwegs ist. Ebenso wichtig ist es, die Funktion der jeweiligen Messengergruppen zu kennen, um Inhalte mit der Zielgruppe auszutauschen. Der Gruppe “Anna´s Geburtstag” kommt dabei eine andere Funktion und Intentionallität zu als der Gruppe “Umwelt AG der Klasse 7B”, was bei der Ansprache und Einbindung der Zielgruppe in die Verbreitung von Inhalten berücksichtigt werden muss.
Um von Erwachsenen initiierte Bewegtbildungsprojekte unter Einbeziehung von Messengerkommunikation erfolgreich und partizipativ durchzuführen, ist es stets notwendig, auf Augenhöhe mit der Zielgruppe zu sein, Wissensaustausch zu ermöglichen und Dialog zu fördern.
Messengerkommunikation und Haltung
Wichtig ist es im Rahmen von Bewegtbildung, zum einen als Projektverantwortliche*r Haltung zu zeigen und dabei unter anderem Pluralismus und zivilgesellschaftliches Denken vorzuleben, sowie zum anderen sachlich und neutral zu bleiben. Möglich wird das etwa, indem man andere Haltungen als die eigene, sofern diese sinnvoll argumentierend und nicht würdeverletzend oder Ähnliches sind, als gleichwertig bedeutsam anerkennt und den hohen Stellenwert einer solchen Anerkennung für politische Prozesse betont. Im Zentrum von Bewegtbildungsprojekten stehen jedoch nicht Haltungen der Projektverantwortlichen, sondern die Haltungen der Projektteilnehmer*innen. Diese können innerhalb von Messengergruppen von den Teilnehmer*innen miteinander diskutiert sowie überhaupt erst einmal entwickelt werden. Kontroverse Themen sowie der Einbezug von Emotionen können Anreize für solche Diskussionen in Gruppen schaffen und Interaktionsgrade erhöhen. Beides kann aber auch in unsachliche Diskussionen münden. Deshalb kann im Rahmen von Bewegbildung bezogen auf Messengerdienste der Umgang mit Emotionalität und mit Kontroversen, die sich teils nicht auflösen lassen und die teils auch ausgehalten werden müssen, thematisiert werden. Ebenfalls kann der Umgang mit Hate Speech und Fake News in Bezug auf Messenger Thema sein und es können Filterblasenphänomene bewusst gemacht werden, die sich gerade auch durch nicht- oder halb-öffentliche Gruppen in Messengerdiensten verstärken können.
Wichtig ist auch, die Haltung einzunehmen, dass Projektverantwortliche nicht alles wissen müssen, was in Messengergruppen des Projektes geschieht, und dass gerade z.B. Jugendliche auch ihre eigenen Räume benötigen, in denen sie agieren können. Ggf. kann ein*e Projektteilnehmer*in die Moderation der Gruppe übernehmen und, sofern vorher mit allen Teilnehmer*innen so vereinbart, Problemfälle in der Gruppe mit den Projektverantwortlichen besprechen, allerdings ohne dabei Projektteilnehmer*innen zu diskreditieren. Extreme Haltungen etwa können dadurch als solche problematisiert werden. Gleichwohl sollte ein gleichberechtigter Diskurs auch sehr unterschiedlicher Meinungen gefördert werden. Falls Projektverantwortliche doch an Messengergruppen des Projekts teilnehmen, sollte dies mittels Personen-Accounts statt Organisations-Accounts geschehen, um somit die wünschenswerte Haltung zu verdeutlichen, in der Gruppe als persönliche*r Diskussionsteilnehmer*in zu kommunizieren und nicht als übergeordnete, eine Organisation vertretende Instanz.
Katrin Müller, Markus Gerstmann, Maximilian Nominacher, Mosjkan Ehrari, Robert Behrendt und Shirin Kasraeian für das Netzwerk Bewegtbildung