Durch Bewegtbildung werden explizit Bildungsprozesse in und mit Social Media und Webvideo angestoßen und somit Kommunikationskanäle geöffnet, die Interaktion erfordern und fördern. Diese Interaktion sollte integraler Bestandteil eines Webvideoproduktes oder -projektes sein und entsprechend geplant und gestaltet werden. Interaktion umfasst im Medium Webvideo ein breites Spektrum an Möglichkeiten: vom einfachen Aufrufen eines Videos, der Gestaltung und Nutzung von Infokarten oder einem interaktiven Abspann über das Bewerten, Teilen, Kommentieren, Moderieren, Abonnieren bis hin zu eigenständigen Videoantworten, Remixen und Livevideos. In diesem Sinne hat das Kriterium eine doppelte Bedeutung: Zum einen ist die Nutzung der interaktiven technischen Möglichkeiten gemeint und zum anderen meint Interaktion die spezifischen Kommunikationsformen des Mediums. In anderen Worten: Es gibt zum einen Interaktionsmöglichkeiten, die dadurch gegeben sind, dass man im Internet miteinander interagieren kann. Zum anderen gibt es spezifische Interaktionsmöglichkeiten, die einzelne Onlinedienste bieten, z. B. die Kommentarfunktion bei YouTube oder die Gruppenbildungsfunktion von Messengern wie WhatsApp und Telegram.
Rahmenbedingungen
In der Bildungsarbeit mit Webvideo sollten Grundlagen für Interaktion im Vorfeld konzeptionell entwickelt und an die Zielgruppe angepasst werden. Ein transparenter Umgang mit diesen Grundlagen sollte leitend sein, um nachvollziehbare Rahmenbedingungen für alle an der Interaktion beteiligten Akteur*innen zu schaffen.
Zu fragen ist etwa, welche Ressourcen im Projekt zur Verfügung stehen, um Interaktion zu ermöglichen. Gibt es beispielsweise Personal, das eine Community-Moderation gewährleisten kann, oder Projektteilnehmer*innen, die diese übernehmen können? Auch ist zu klären, welchen Lernzielen die Interaktion dient, also ob z. B. sinnvolles Kommentieren und Diskutieren in Social Media geübt werden soll und wie mit Hatespeech, Fake News usw. umgegangen werden kann.
Welche Arten von Interaktion gewünscht sind (z. B. Kommentarspalten und sonstige Rückkanäle einer Webumgebung, Diskussion vor Ort, Gestaltung von Videoantworten) ist ebenso zu klären wie die Frage, wie die Projektteilnehmer*innen bzw. die Community aktiv dazu ermuntert werden zu interagieren. Damit hängt auch die Frage zusammen, welche Plattformen und Interfaces welche Interaktionsmöglichkeiten bieten und wie gut sie somit für das Projekt geeignet sind.
Ein weiteres Thema ist der Daten- und Jugendschutz: Ist etwa wichtig, dass Teilnehmer*innen beim Interagieren anonym bleiben, und falls ja, wie kann das gewährleistet werden? Dürfen sie bestimmte Anwendungen altersbedingt bereits verwenden? Werden sie im Projekt darüber informiert, welche Daten bei der Nutzung bestimmter Social-Media-Dienste weitergegeben werden, und sind sie bzw. ihre Erziehungsberechtigten damit einverstanden? Ist geklärt, ob Teilnehmer*innen vor der Kamera zu sehen sein dürfen oder ihre Stimmen bei Audioaufnahmen zu hören sein dürfen usw.?
Auch eine ganz andere Art der Interaktion, nämlich die Interaktion des Projekts mit bestimmten Partner*innen (z. B. Finanzierung, Sponsoring und Werbung) sollte transparent gemacht werden. Bei Werbung gilt eine Kennzeichnungspflicht. Bei der Nennung bestimmter Sponsor*innen sollte man aber auch darauf achten, dass das Projekt durch die Nennung nicht „zu pädagogisch“ für die Projektzielgruppe wirkt, um die Motivation, mitzumachen, nicht zu gefährden.
Auf normativer Ebene ist zu klären, was im Projekt als gute Interaktion gilt. Man sollte sich auf Verhaltensmaßstäbe einigen, die für das Projektteam sowie für die Teilnehmenden gelten – auch bezeichnet als Code of Conduct. Diese Maßstäbe müssen für alle Beteiligten transparent sein. Sie umfassen etwa Fragen des Community-Managements, einer Netiquette, des Jugend(medien)schutzes und des Datenschutzes.
Selbstverständlich sollte es Personen geben, die auf die Einhaltung dieser Regeln achten und die kompetent darin sind, Interaktion zu ermöglichen sowie zu Interaktion zu ermuntern, aber eben auch, bei problematischem Verhalten wie Hatespeech oder der Verbreitung von Fake News einzuschreiten. Gerade mit Blick auf problematisches Verhalten ist zu klären, in welchen Fällen eingeschritten werden sollte und was dann zu tun ist. Die Moderation sollte in Abstimmung mit der Projektleitung handeln und diese informieren. Es sollte geklärt werden, ob und, falls ja, in welchen Fällen Kommentare gelöscht oder Nutzer*innen blockiert werden und wie darüber entschieden wird. Bei größeren Institutionen gibt es unter Umständen Leitfäden dafür, wie mit Kommentaren umgegangen werden soll oder was in kritischen Fällen zu tun ist.
Die Frage nach einer Community-Moderation ist nicht nebensächlich, sondern als wichtiger Baustein von Interaktion zu sehen. Gerade die Frage, in welchem Umfang Community-Moderation möglich ist, ist bereits vor Projektbeginn zu klären, und die Interaktionsmöglichkeiten, die man Projektteilnehmenden eröffnet, sollten daran angepasst werden, was an Community-Moderation überhaupt leistbar ist. Es darf nicht dazu kommen, dass im Projektkontext unbemerkt problematische Kommentare stehen bleiben. Im besten Fall muss die Moderation direkt reagieren können. Oder aber es muss sehr deutlich sein, dass es eine Moderation gibt, wie sie erreicht werden kann und dass man sie bei problematischen Arten der Interaktion informieren kann und sollte. Wenn es keine Ressourcen für eine Community-Moderation gibt, ist zu überlegen, ob und inwiefern die Kommentarfunktion aktiviert sein soll.
Plattformen und Dienste
Webvideo und somit Bewegtbildung findet vorrangig auf kommerziellen Plattformen statt.
Privatwirtschaftlich agierende Unternehmen stellen technische Dienste zur Verfügung, die die Einbindung von Bewegtbildinhalten, das Teilen und Kommentieren erlauben und auf diese Weise Interaktion mittels Design gestalten. Die aktive Nutzung dieser kommerziellen Plattformen zu den jeweiligen Bedingungen des Unternehmens impliziert gewisse Abhängigkeiten. Diese Tatsache sollte man sich in der politischen Bildung im Social Web stets vor Augen halten, thematisieren und kritisch hinterfragen. Die aktuell meistgenutzten Dienste, die Webvideobeiträge ermöglichen, sind: YouTube, WhatsApp, Instagram, Snapchat, Facebook (vgl. Feierabend/Rathgeb/Reutter 2018: 27). Alternativen zu diesen kommerziellen Plattformen werden immer wieder diskutiert und entwickelt, sie finden jedoch keine weite Verbreitung bzw. können sich bei den Zielgruppen nicht etablieren.
Plattformabhängig werden Interaktionen unterschiedlich bewertet. Ursache sind die verschiedenen Algorithmen, die Inhalte, Aufrufe, Bewertungen, Sehdauer und andere technische Interaktionen im Hintergrund unterschiedlich auswerten und Beiträge entsprechend listen. Diese Algorithmen sind nicht transparent und werden als Betriebsgeheimnisse der jeweiligen Diensteanbieter streng gehütet, ggf. auch ohne Ankündigung geändert. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass eine höhere Interaktion dafür sorgt, dass Inhalte auf der Plattform auch höher gelistet werden. Diese technischen Bewertungen sollten von Bewertungen aus Sicht der politischen Bildung unterschieden werden. Entsprechend sollte sich ein Projekt oder Kanal folgende Fragen beantworten:
- Wählt das Projekt für die Interaktion mit der Zielgruppe offene Dienste, die browserbasiert auch unangemeldeten Nutzer*innen Zugang zu den Inhalten erlauben (YouTube, Facebook, Instagram etc.), oder sollen geschlossene Dienste (z. B. Messengerdienste oder Snapchat) genutzt werden, die nur auf Einladung angemeldeten Nutzer*innen Zugang gewähren?
- Welche Interaktionsmöglichkeiten bietet die jeweilige Plattform / der jeweilige Dienst und wie werden diese Möglichkeiten im Projekt genutzt, um die Zielgruppe zu erreichen und am Projekt zu beteiligen?
- Kann oder will das Projekt verschiedene Plattformen/Dienste gleichzeitig nutzen, um zusätzliche Möglichkeiten und Synergien zu schaffen und die Interaktion mit der Zielgruppe zu fördern?
- Ist es ggf. hilfreich, Diskussionen in nicht öffentliche Messengergruppen zu lenken, um bestimmte →Lernziele besser zu erreichen oder die →Identifikation mit dem Projekt zu erhöhen?
- Wird die gesellschaftliche Rolle und das wirtschaftliche Handeln von Plattformbetreibenden und Diensteanbieter*innen im Projekt thematisiert und reflektiert?
Community
Der offenkundige Mehrwert bei politischer Bildungsarbeit im Social Web liegt in den zusätzlichen Interaktionsmöglichkeiten mit einer Community. Hierfür ist ein grundlegendes Verständnis der angestrebten Community Voraussetzung, vor allem ein klares Bild ihres Mediennutzungsverhaltens (→Zielgruppenorientierung). Verallgemeinerbare Aussagen lassen sich hierzu kaum treffen, denn technische und mediale Entwicklungen sind schnelllebig und sorgen stetig für Verschiebungen. Es ist darum von entscheidender Bedeutung, sich im Zuge der Entwicklung seiner Community die aktuellen Kommunikations- und Mediennutzungsgewohnheiten seiner Zielgruppe auf der Grundlage von Forschungsergebnissen und validen Erfahrungsberichten klarzumachen. Auch wenn die Bestimmung einer Zielgruppe sehr spezifisch sein kann, sollten folgende Unterschiede grundlegend gemacht werden. Die Interaktion findet statt:
- unter pädagogischen Fachkräften;
- zwischen Jugendlichen (oder einer anderen spezifischen Zielgruppe) und pädagogischen Fachkräften,
- Peer to Peer unter Jugendlichen (oder einer anderen spezifischen Zielgruppe),
- zwischen Jugendlichen (oder einer anderen spezifischen Zielgruppe) und Creator*innen,
- unter Creator*innen.
Community-Management
Grundlage für gelingende Interaktion als Kommunikation zwischen Projektverantwortlichen und Zielgruppe ist ein funktionierendes Community-Management. Bildungsprozesse im Social Web können nur dann erfolgreich sein, wenn Rückkanäle betreut werden und das Feedback der Zielgruppe entsprechend wertgeschätzt und die Community entwickelt wird.
Die Gestaltung des Community-Managements auf Grundlage der Ressourcen und in Fragen von Ansprechpartner*innen, Umfang, Tonalität, Sprache, Medieneinsatz etc. sollte auf die Zielgruppe abgestimmt sein. Projektverantwortliche sollten jedoch offen für Änderungen und Anpassungen sein, denn die spezifische Ausgestaltung kann sich im Laufe eines Projektes und mit der Community durchaus ändern. Grundlegend sollte jedoch entschieden werden, ob sich die Community in einem öffentlichen oder geschlossenen Raum austauscht und ob das Community-Management mit oder ohne Mitwirkung der Zielgruppe umgesetzt werden soll. Darüber hinaus empfehlen sich folgende Grundsätze:
- Datenschutz, Jugendmedienschutz: Die rechtlichen Bestimmungen zu Daten- und Jugendmedienschutz sollten bei allen Projekten der politischen Bildung im Social Web die Grundlage bilden.
- Verhaltenskodex: In der Onlinekommunikation ist es hilfreich, wenn ein Kanal oder ein Projekt sich vorab auf bestimmte Verhaltensregeln geeinigt hat, die öffentlich einsehbar sind. Dann kann sich eine Moderation in Konfliktfällen darauf beziehen und entsprechend handeln.
- Anpassungsfähigkeit: Ist das Projekt mit den nötigen Ressourcen ausgestattet, um bei hohen Interaktionsraten (Aufrufe pro Interaktion) oder im Fall von konzertierten (Gegen-)Aktionen das Community-Management unterstützen zu können?
- Regelmäßigkeit: Im Projekt sollten zeitliche Ressourcen zur regelmäßigen Moderation des Kanals fest eingeplant sein.
- Verbindlichkeit: Die Moderation eines Kanals sollte als echte Personen und verlässliche Ansprechpartner*innen erkennbar sein. Weder Bots noch kollektive Accounts ohne individuellen Charakter können vertrauensvolle Verbindlichkeit herstellen. Vorgefertigte „Baukastenantworten“ sollte man nach Möglichkeit vermeiden, sondern möglichst individuell auf die Fragen und Kommentare reagieren.
- Sachlichkeit: In aller Regel sollten Diskussionen auf Kanälen sachlich und verständlich geführt werden. Humor kann ein Mittel zur Deeskalation sein, er kann aber auch leicht falsch verstanden werden.
Ein Stolperstein im Community-Management kann darin bestehen zu unterschätzen, wie zeitintensiv und psychisch belastend es sein kann. Gegebenenfalls kann es notwendig werden, den Projektmitarbeitenden die Möglichkeit zum Austausch zu geben, gerade wenn die Themen, die in der Community aufkommen, emotional belastend sind.
Partizipation durch Interaktion
Interaktion und →Partizipation sollten im Rahmen von Bewegtbildung klar unterschieden werden: Partizipation gestaltet einen Prozess, während Interaktion sich auf das Produkt bezieht. Die Beteiligung einer Zielgruppe an einem Projekt ist integraler Bestandteil eines partizipativen Bildungsprozesses und nimmt entscheidenden Einfluss auf das Projekt selbst. Interaktion hingegen versteht sich als zentrales Angebot eines Webvideoproduktes auf einer Plattform oder in einem Dienst, gestaltet dieses Produkt jedoch nicht. Dennoch können Ergebnisse aus der Interaktion im Rahmen eines weitergehenden Kanalkonzeptes in die Projektentwicklung zurückgeführt und partizipativ fruchtbar gemacht werden. Zum Beispiel entsteht inhaltliche Partizipation, wenn Interaktion als Reaktion auf einen Call to Action in Form von Likes, Kommentaren und Videoantworten zur thematischen Weiterentwicklung des Kanals genutzt wird und neue Webvideobeiträge zu gewünschten Themen der Community entstehen.
Das Video an sich ist häufig nur eine Hinführung zum Thema – der tatsächliche Informations- oder auch Lernprozess für die Zuschauenden geschieht dann nicht nur durchs Video selbst, sondern auch in den Kommentaren, die untrennbar damit verbunden sind. Durch das Scrollen und Lesen in Kommentaren, was oft während des Ansehens eines Videos geschieht, ist man potenziell neuen Reizen und Impulsen ausgesetzt, die die Videorezeption in eine andere Richtung lenken können. Nicht zuletzt deswegen ist gutes Community-Management elementar, damit die Deutbarkeit des Videos im beabsichtigten Rahmen bleibt.